Yannis, Johannes, Stefanie, Alexander, Robin.
Eine lange Liste auf der linken Seite der Homepage
www.leben-ohne-dich.de
verlinkt auf Unterseiten, auf denen Eltern Abschied nehmen. Abschied nehmen von Kindern, die sie durch Krankheit oder Unfall verloren haben. Leben ohne Dich ist eine Anlaufstelle für verwaiste Eltern, die sowohl Betroffenen helfen, als auch Außenstehenden Verständnis für die besondere Situation der Eltern vermitteln möchte. Über ein Thema, das bei vielen immer noch tabu ist.
Betrieben wird Leben ohne Dich von Tina und Bodo, einem Ehepaar aus Mülheim/Ruhr. Tina verlor ihren Sohn Yannis im Jahr 2000 durch Gehirnentzündung und gründete zusammen mit Bodo und einer weiteren betroffenen Mutter kurz darauf „Leben ohne Dich“.
sagmal.de:
Tina, Bodo, „Leben ohne Dich“ ist sowohl eine Selbsthilfegruppe, als auch der Titel eurer Webseite, bei dem es um Eltern geht, die ihre Kinder verloren haben. Ich weiß von eurer Seite, dass Ihr selbst betroffen seid. Könnt Ihr uns erzählen, wie es zu „Leben ohne Dich“ kam?
Tina:
Als mein Sohn Yannis im Juli 2000 verstarb, hatte ich schon zweieinhalb Jahre Schmerz, Verzweifelung und unzählige Tränen hinter mir – seit der Diagnose „Mein Kind wird sterben“. Kurz nach Yannis Tod gründeten wir (Bodo und ich) zusammen mit einer anderen betroffenen Mutter Ende 2000 eine eigene Selbsthilfegruppe, die wir später „Leben ohne Dich“ nannten.
sagmal.de:
Warum habt Ihr euch entschlossen, zusätzlich zur Selbsthilfegruppe das Internet als Plattform zu nutzen?
Bodo:
Nach einigen Monaten ohne großen Zulauf entschlossen wir uns, „Leben ohne Dich“ ins Internet zu stellen, eigentlich nur um auf unsere SHG aufmerksam zu machen. Doch schon bald nach der Gründung von www.leben-ohne-dich.de sind wir von der Resonanz überrascht worden. Offenbar haben wir mit diesem Forum einen großen Bedarf getroffen: hier finden sich Eltern zusammen, um ihren Schmerz und ihre Trauer mit gleichermaßen Betroffenen, mit Verstehenden, zu teilen.
sagmal.de:
Macht die Anonymität im Internet vieles leichter?
Tina:
Ja, auf jeden Fall. Sehr viele unserer Foren-Teilnehmer haben überhaupt nur aufgrund der Anonymität angefangen, über sich, über ihr Schicksal und ihr Kind zu reden. Das ist ein ganz wichtiger Schritt im Trauerprozess. Später, wenn sich Sympathien für einzelne Mitglieder ergeben, wird die Anonymität überwunden, man tauscht sich auch privat aus, bis hin zum persönlichen Kennenlernen, das wir durch regelmäßige überregionale Treffen unterstützen.
sagmal.de:
Wie lange dauert es, bis Eltern verstorbener Kinder wieder ein „normales“ Leben führen können? Können sie das überhaupt?
Tina:
„Normal“ im Sinne der Gesellschaft gilt für uns nicht, wir sind „ver-rückt“. Die fest gefügte Welt, auf der wir unser Glaubenssystem, unsere Ziele, unseren gesamten Lebensentwurf gegründet haben, ist plötzlich außer Kontrolle geraten. Trauer und Schmerz sind allgegenwärtig, es gibt keine Heilung. Bestenfalls gelingt es uns, im Verlauf des Trauerprozesses einen lebbaren Weg für uns zu finden, eben ein „Leben ohne Dich“.
sagmal.de:
Wie sollten sich Außenstehende eurer Meinung nach verhalten? Viele haben doch sicher einfach Angst, etwas falsch zu machen, oder?
Bodo:
Einfach „da“ sein, sich anbieten, zum Zuhören, Reden oder Erledigungen machen. Vor allem auch Reden über das verstorbene Kind, denn das Schweigen verletzt die Eltern mehr als die Erinnerungen. Nicht versuchen zu verstehen oder zu bemitleiden, sondern die Trauer teilen. Bewusste Trauer ist kein zusätzlicher Schmerz, sondern notwendig für die Trauerbewältigung. Die Angst und Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen ist ein generelles gesellschaftliches Problem, Tod als Tabuthema.
sagmal.de:
Womit haben Außenstehende generell die größten Probleme im Umgang mit Betroffenen?
Tina:
Zu verstehen, dass unsere Trauer nie aufhört, zu verstehen, dass wir die Erinnerung an unser Kind immer aufrecht erhalten wollen. Daher schmerzt es mich sehr, wenn am Geburts- oder Todestag von Yannis von Freunden oder der Familie kein Anruf oder eine Karte kommt…..einfach ein: „Ich bin heute in Gedanken bei Dir und Yannis“.
sagmal.de:
Ihr habt auch ein Forum für Geschwister verstorbener Kinder. Was unterscheidet Eltern und Geschwister in solchen Trauerfällen voneinander?
Bodo:
Je nach Alter gehen Kinder anders mit dem Tod um, sie trauern genauso, aber sie können leichter loslassen.
Aber aus unserer Erfahrung wird Geschwistern von verstorbenen Kindern kaum Hilfe zuteil. Zumal sie nicht nur einen Bruder oder eine Schwester verloren haben, sondern auch ein Stück ihrer Eltern, die oft in ihrer eigenen Trauer gefangen sind und wenig Kraft für die Sorgen und Nöte der Geschwister haben.
Eltern müssen aufpassen, dass sie ihren anderen Kindern wenigstens einen gewissen Grad an unbeschwerter Jugend bieten.
sagmal.de:
Wie könnt Ihr den Betroffenen im einzelnen helfen?
Tina:
Ich maile privat mit einigen Betroffenen, gerade in Krisensituationen. Aber unser Forum ist bereits so verzweigt, dass für Hilferufe auf der Pinnwand sofort einige zum Trösten und Helfen bereit stehen, das kann ich auch alles nicht mehr alleine bewältigen. „Leben ohne Dich“ ist nicht mehr nur „unser“ Forum, es trägt sich selbständig durch die vielen Betroffenen, die aktiv hier mitarbeiten. Wir erhalten Mails, die sagen: „Dieses Forum ist für mich lebensnotwendig geworden.“
sagmal.de:
Wie wird es mit „Leben ohne Dich“ weitergehen?
Bodo:
Das wüssten wir auch gerne, denn die Entwicklung der letzten zwei Jahre konnten wir nicht annähernd vorausahnen. Nach unser gerade fertiggestellten Informationsbroschüre planen wir als nächstes aus „Leben ohne Dich“ einen gemeinnützigen Verein zu machen, um größere Projekte angehen zu können. Wir sehen noch viele Defizite und haben auch schon einige Ideen.
sagmal.de:
Wie ist euer Verhältnis zum Internet allgemein? Wie nutzt Ihr es?
Tina:
Internet ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Neben der Arbeit für „Leben ohne Dich“, die ohne Internet und Email nicht denkbar wäre, mache ich meine Bankgeschäfte, nutze Suchmaschinen für die Informationsbeschaffung und maile mir privat mit Freunden… mehrere Stunden jeden Tag.
sagmal.de:
Gibt es Seiten, die euch besonders am Herzen liegen?
Bodo:
Es gibt mittlerweile sehr viele gute Seiten, auch zu unserem Thema. Da fällt es schwer eine hervorzuheben. Einige wenige werden auf unserer Homepage genannt.
sagmal.de:
Habt Ihr bei meinen Fragen eine Frage vermisst?
Tina:
Nicht wirklich, wir sind erstaunt und beeindruckt, wie gut Du Dich vorbereitet hast !
sagmal.de:
Noch einen Schlusssatz?
Bodo:
Wir sind Engel mit nur einem Flügel.
Um fliegen zu können, müssen wir uns umarmen.
Das Interview wurde am 22.12.2003 per Mail geführt. Die Fragen stellte Robert Herbig, Webmaster von sagmal.de.
Wir danken Tina und Bodo für die Beantwortung unserer Fragen.
Die in diesem Interview verwendeten Grafiken unterliegen dem Copyright und wurden nur für dieses Interview von den entsprechenden Webseiten entnommen.
Dank auch an Annette Kelter für den Hinweis auf Leben ohne Dich.